Menschen

Max Keller

«Wir haben alles gegeben»
Max Keller wurde 1951 in Emmenbrücke LU geboren. Er unterrichtete während 30 Jahren am Gymnasium in Altdorf Englisch und Spanisch. Heute ist er pensioniert und leitet unter anderem für die Alpen-Initiative Wanderungen in der Schweiz und im nahen Ausland.

«Die Idee, den Teufelsstein zu verhüllen, kam uns wegen des Künstlers Christo. Er war in den 1990er-Jahren sehr aktiv. Die Montage des roten Tuchs war nicht einfach. Vom Morgengrauen bis zum Eindunkeln hingen wir zu fünft an den Seilen an diesem 13 Meter hohen Granitbrocken. Wir bohrten und setzten Hunderte von Dübeln, dank dem Urner Föhn bei strahlendem Wetter. Am zweiten Tag war der Föhn zusammengebrochen und wir vollendeten unser Werk in strömendem Regen, völlig durchnässt.

Das rote Kleid wurde massgenschneidert und von einem Sattler in Erstfeld zusammengenäht. Er hat dazu 80 Stunden gebraucht, es waren 650 Quadratmeter Stoff. Nicht alle Autofahrer hatten Freude an unserer Aktion. Sie brachten es zum Ausdruck beim Vorbeifahren. Ich erinnere mich aber auch an einen 60-jährigen Urner, der uns eine 20iger-Note für Kaffee gab. Zum Glück ist nicht viel passiert, als unsere Gegner das rote Tuch anzünden wollten.

Während 25 Jahren habe ich mich mit Leib und Seele für die Alpen-Initiative engagiert, nachts mit Kollegen riesige Transparente an Felsenwände gehängt und tagsüber mit andern Urnerinnen und Urner unzählige kreative Öffentlichkeitsaktionen inszeniert. Ich war Lehrer. Alle kannten meine Einstellung, aber ich hatte deswegen nie Nachteile. Der Rektor an der Kantonsschule in Altdorf unterstützte sogar meist, was ich machte. Ein Tag nach der Verhüllung des Teufelssteins waren Maturaprüfungen. Da fragte mich ein Experte, ob ich bei dieser Aktion dabei gewesen sei. Klar, sagte ich. Und er antwortete, dass er uns, wenn er da gewesen wäre, überfahren hätte. Solche Reaktionen waren jedoch die Ausnahme.

Nach einem lustigen Weltenbummler- und Studentenleben wurde ich 1983 in Uri sesshaft. Jetzt wollte ich mich beruflich, familiär und in der Freizeit für die Gesellschaft engagieren. Ich bin ein begeisterter Bergsteiger und Naturfreund. So lag es nahe, mich für die Umwelt einzusetzen und unseren wunderschönen Bergkantons vor der rasch wachsenden Anzahl Transitlastwagen zu schützen. Mit meinem ökologischen Protest eckte ich oft an, das war nicht immer angenehm. Deshalb wollte ich mich auch konstruktiv engagieren. Während 20 Jahren war ich Leiter bei der Jugendgruppe WWF-Pro Natura und wollte die Kinder mit Naturerlebnissen für die Schönheiten unserer Umwelt sensibilisieren.

Bei einer Aktion vor der Abstimmung 1994 hatte ich 40 Hirtenhemden aufgetrieben. Wir zogen dann mit zehn anderen jungen Familien durch die Schweiz und warben für die Alpen-Initiative. Dadurch habe ich sehr viele Leute kennengelernt. In Bellinzona traten wir ohne Bewilligung auf und haben Urner Spezialitäten verteilt. Der Bürgermeister wies uns zurecht, liess uns aber trotzdem gewähren. Nach dieser Aktion war ich so erschöpft, dass ich mich zwei Stunden lang in der Badewanne erholen musste. Seither habe ich nie mehr gebadet, ausser in Bergseen – nur noch geduscht.

Gemeinsam etwas unternehmen, zusammen für eine gute Sache kämpfen – das gab mir und den anderen Energie. Wir haben mit den Aktionen immer viele Leute zusammengebracht, ich fühlte mich ganz als Urner und als Teil einer Volksbewegung. Bei der letzten Aktion meiner Aktivistenkarriere, kurz vor der Abstimmung 2016, schlich ich mit einer Gruppe von 15 jungen Urnerinnen und Urner, inklusive zwei jungen Familien mit Kindern, im Morgengrauen bei Schneetreiben auf das Vordach über dem Eingang des Gotthard-Strassentunnels. Wir spannten ein 10 Meter breites Transparent auf für ein Foto für die Agentur Keystone. Zehn Minuten später waren wir wieder verschwunden – ein Spuk, bevor uns die Polizei erwischte. Es war eine Wahnsinnsache. Die Stimmung war fantastisch, wir spürten wieder diese Energie, die entsteht, wenn man sich zusammen für etwas einsetzt.

Dieser Aspekt der Gemeinschaft war mir ebenso wichtig wie der Einsatz für die Umwelt. Wir haben mit Herzblut gekämpft, wir haben alles gegeben. Hunderte von Stunden habe ich investiert. Als dann 2016 eine Mehrheit für die zweite Strassenröhre am Gotthard stimmte, dachte ich: So ist es, wenn du während Jahren ein Haus aufbaust und dann reisst es die Lawine weg. Aber solche Gedanken währten nicht lange. Wir haben doch bei der Verlagerung des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene viel erreicht und viele Menschen für die Umweltanliegen sensibilisiert – und die Aktionen haben mir immer Spass gemacht.»

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