Menschen

Marina Carobbio Guscetti

«Für mich ist Alpenschutz auch Klima- und Gesundheitsschutz»
Marina Carobbio Guscetti wurde 1966 in Locarno geboren und lebt heute in Lumino bei Bellinzona. Seit 2007 politisiert sie für die SP im Nationalrat. Zuvor sass sie im Tessiner Kantonsparlament. Sie hat in Basel Medizin studiert und arbeitete bis vor Kurzem als Ärztin in einer Gemeinschaftspraxis in Roveredo GR. Diese Tätigkeit hat sie bis Ende 2020 suspendiert, da sie für ein Jahr als Nationalratspräsidentin (2018-2019) stark eingespannt ist. Seit 2013 ist Marina Carobbio Guscetti Vizepräsidentin der Alpen-Initiative.

«Ich bin in Lumino aufgewachsen und lebe auch heute noch in dem Dorf direkt an der Grenze zum Kanton Graubünden. Die Strassen Richtung San Bernardino und Richtung Gotthard sind ganz in der Nähe. Der Verkehr hat mich immer interessiert und mir auch Sorgen bereitet, vor allem in Zusammenhang mit der Luftverschmutzung und der Gesundheit der Menschen. Bereits Ende der 1990er-Jahre machte ich in der regionalen Umweltorganisation Moesano vivibile mit. Wir haben uns mit Aktionen, Plakaten und Manifesten dafür eingesetzt, dass unsere Talschaft lebenswert bleibt.

Die Strasse über den San Bernardino ist gefährlich, vor allem wegen der Lastwagen. Sie gehören auf die Schiene. Schon in den 1990er-Jahren war die Sicherheit ein Thema. Jetzt hat der Bund endlich ein Kontrollzentrum an der San Bernardino-Achse eröffnet – das hat viel zu lange gedauert, und ein grosses Zentrum im Süden des Gotthards fehlt weiterhin.

Politisch engagiert habe ich mich schon früh. Als 20-Jährige protestierte ich gegen die Nagra, die im oberen Misox eine Deponie für radioaktive Abfälle einrichten wollte. Ich erinnere mich, dass ich damals an einer Demonstration mit Velos mitfuhr. Auch am Gymnasium und an der Universität war ich in Studentenbewegungen aktiv und setzte mich für internationale Solidarität und Gesundheitsprojekte ein, zum Beispiel in Mittelamerika. Mein Vater, der auch im Nationalrat politisierte, engagierte sich vor allem gewerkschaftlich und kümmerte sich um Arbeitsrecht und Minderheiten. Für mich waren immer die Umwelt und die Gesundheit das Wichtigste.

Wenn ich heute sehe, wie heiss es im Sommer wird und wie schlecht die Luft hier im Tal ist, so macht mir das Angst. Ich wandere viel in den Tessiner Bergen, schon als Kind war das so. Ich könnte wochenlang in der Höhe sein. Jetzt sehe ich sehr oft die Dunstglocke, die über dem Tal und dem Mendrisiotto hängt. Bei uns hier und im südlichsten Teil des Tessins ist die Luft am stärksten mit Schadstoffen belastet.

Ich finde, die Menschen sollten sich wieder mehr zusammentun, um sich gegen den Feinstaub in der Luft und die hohen Ozonwerte zu wehren. Als Ärztin stelle ich in unserer Gemeinschaftspraxis in Roveredo fest, dass die Lungenerkrankungen zunehmen. Vor allem behandeln wir viel mehr Kinder mit Asthma als früher. Für mich ist klar, wenn die Ozonwerte zu hoch sind, sollte die Regierung rascher Massnahmen ergreifen, nicht bloss auf den Wind warten.

Auch beim Klimawandel dürfen wir nicht untätig bleiben, nein, wir müssen sofort etwas unternehmen, um ihn zu stoppen. Gerade beim Verkehr sind dringend schärfere Auflagen gefordert. Beim Flugverkehr etwa ist eine neue Besteuerungsform des Treibstoffes dringlich. Ich weiss, in der Politik braucht alles seine Zeit, aber bei der Klimaerwärmung dürfen wir Politikerinnen und Politiker nicht weiter zuwarten. Das sehen auch viele junge Menschen so, zum Beispiel meine Kinder, die sehr besorgt sind.

Bei der Abstimmung zum zweiten Gotthardstrassentunnel habe ich bis zum Schluss gehofft, dass es ein Nein gibt. Ich war die einzige innerhalb der Tessiner Fraktion im Eidgenössischen Parlament, die sich gegen die zweite Röhre einsetzte. Aber ich habe damit die Meinung eines grossen Teils der Bevölkerung vertreten. Schön war, dass wir im Vorfeld der Abstimmung auf dem Gotthard das traditionelle Mahnfeuer entzünden konnten – obwohl es nur Fackeln waren wegen der Brandgefahr.

Mein Mann und ich sind seit Jahren Mitglied der Alpen-Initiative. Er begleitet mich selten an politische Veranstaltungen, aber an die Anlässe der Alpen-Initiative kommt er gerne. Als mich Fabio Pedrina 2013, als er noch Präsident der Alpen-Initiative war, anfragt, ob ich nicht im Vorstand mitmachen wolle, musste ich nicht lange überlegen. Für mich ist Alpenschutz auch Klima- und Gesundheitsschutz. Zudem ist es für mich sehr wichtig, in Umweltorganisationen und anderen Vereinen mitzumachen. So verstehe ich besser, wo die Probleme wirklich liegen.»

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