Menschen

Emanuel Ammon

«Die Steingeiss? Eigentlich ein Zufall»
Emanuel Ammon wurde 1950 in Luzern geboren. Nach einem Jahr an der Kunstgewerbeschule machte er eine Lehre als Fotograf bei Hans Eggermann, der seinerseits Lehrling gewesen war bei Emanuel Ammons Vater. Er arbeitete als Pressefotograf, später gründete er seine eigene Fotoagentur AURA. Er hat auch zahlreiche Bücher mit seinen Fotografien herausgegeben. Emanuel Ammon lebt am Fusse des Pilatus in Kriens.

«Hier war es, hier auf diesem Weg zum Oberhaupt habe ich die Steingeiss fotografiert. Es herrschte perfektes Wetter wie heute. Damals war ich im Auftrag einer Zeitschrift für eine Wander-Reportage auf dem Pilatus unterwegs. An diesem Morgen fuhr ich ganz früh mit den Angestellten auf den Berg. Zu Fuss bin ich selten auf den Pilatus gestiegen, das liegt mir nicht besonders.

Die Steingeiss hatte ich weder gesucht noch erwartet, ich bin ja nicht auf Tierfotografie spezialisiert. Dafür bin ich zu ungeduldig. Ich kann nicht versteckt in einem Zelt irgendwo lauern und den guten Moment abwarten. Dennoch habe ich auch in Afrika gute Tierbilder machen können. Zum Beispiel von einem Leoparden. Ich ging ganz nah heran, er versteckte sich immer wieder im Gebüsch, er spielte mit mir. Der Guide sagt mir später, dass dasselbe Tier vor ein paar Wochen einen Mann angegriffen hatte, der mit 120 Stichen genäht werden musste. Ich war da sehr naiv.

Die Steingeiss auf dem Pilatus schien wirklich Spass zu haben, dass ich sie fotografierte, sie liess mir alle Zeit. Ich habe mit ihr geredet und bin bis fast auf einen Meter zu ihr gerückt. Ich habe mit einem 35mm-Weitwinkel fotografiert. Der blaue Himmel war genauso blau und klar wie auf dem Foto, ich habe da überhaupt nichts gemacht, kein Photoshop, nichts. Das Bild hatte auch viel Himmel oben, diesen Ausschnitt hatte ich absichtlich so gewählt, ich dachte, das könnte grafisch wichtig werden.

Ich hatte damals Dia-Filme, da gab es noch keine digitalen Apparate. Ich weiss nicht mehr, wie viele Aufnahmen ich machte, es waren sicher einige, aber aufbewahrt habe ich nur vier. Sie sind in einem Mäppli, ich habe sie alle hervorgesucht. Steinböcke und Steingeissen waren ja nicht das Reportage-Thema. Damals wusste ich auch nicht so genau, ob es eine Steingeiss oder eine Gämse war, ich war tiermässig nicht besonders gut drauf. Die Steingeiss? Ja, sie war eigentlich ein Zufall. Neben der Steingeiss grasten vier weitere Tiere, unter anderem ein Steinbock. Als ich mich ihm näherte, bedrohte er mich, der wollte nicht fotografiert werden.

Die Alpen-Initiative hat dann meine Steingeiss in einem Heft gesehen und mich angefragt, ob sie das Tier haben könne. Das Bild habe ich gerne verkauft, aber wenn ich heute sehe, dass die Alpen-Initiative die Steingeiss seit über 25 Jahren als Symbol für den Alpenschutz einsetzt, hätte ich wohl viel mehr verlangen können. Aber das ist mir egal. Mit keinem anderen Bild ist mir das je wieder passiert, dass es so lange verwendet wurde, die Steingeiss ist zeitlos.

Immerhin habe ich jetzt während 50 Jahren fotografiert, in der Innerschweiz und an vielen Orten auf der Welt. Ich staune oft, wie gut die Bilder damals geworden sind. Vielleicht war ich noch mutiger und besser, obwohl – oder vielleicht gerade weil ich weniger abgedrückt habe. Umwelt und Landschaft beschäftigten mich jahrelang, ich habe zum Beispiel viel fürs Bundesamt für Umwelt fotografiert – Wälder, Wasser, Gletscher, geschützte Landschaften usw. Ich habe auch eine Datenbank aufgebaut, die bis heute läuft, obwohl ich immer wieder höre, das System sei veraltet. Auch das ist mir egal. Nach vielen Jahren Arbeit schickten sie mich dann.

Früher hatte ich auch für das Luzerner Tagblatt geschrieben, nicht nur fotografiert. Aber ich bekam dann wegen eines zu kritischen Artikels über einen Vortrag zum Kalten Krieg ein Schreibverbot. Ich war froh, so durfte und konnte ich danach nur noch fotografieren. Auf dem Pilatus war ich als Pressefotograf sehr oft, auch wegen den Touristen. Es gab oft Anlässe mit Alphorn oder sonst etwas, das dann in der Zeitung erscheinen sollte. Für die Alpen-Initiative habe ich nach der Steingeiss einige Male fotografiert, auch mit meiner Drohne. Als Fotograf habe ich über die Jahre gelernt, dass man nur Erfolg hat, wenn man ein Konzept, einen Stil hat und das lange durchzieht.»

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