Menschen

Hansruedi Stadler

«Wann gibt es den Tanz?»
Hansruedi Stadler, geboren 1953 in Altdorf UR, war zwischen 1988 und 2000 Urner Regierungsrat und in dieser Zeit zwei Mal Landammann, das heisst Vorsitzender der Regierung. Von 1999 bis 2010 vertrat er seinen Kanton als Mitglied der CVP im Ständerat. Bis 2018 arbeitete er als Rechtanwalt und Notar in Altdorf.

«An diesem 20. Februar 1994 war ich sehr angespannt. Ich verfolgte im Rathaus in Altdorf die Resultate und hatte als Landammann zwei Varianten einer Medienmitteilung vorbereitet. Als ich dann auf die Strasse hinauskam und zum Lehnplatz ging, waren Hunderte von Menschen dort, es herrschte eine unglaubliche pulsierende Stimmung, eine verrückte Dynamik, ein Gefühl von Aufbruch. Den ganzen Tag schon hatten mich die Leute auf Schritt und Tritt gefragt: Wann gibt es den Tanz?

Lange vor dem Abstimmungswochenende war alles bereits sehr aufgewühlt gewesen. Radios, Zeitungen, deutsche Fernsehstationen, das Wall Street Journal usw. – jede und jeder wollte mit mir reden. Die Arena-Sendung, in der ich als Landammann Uris zusammen mit Andrea Hämmerle gegen Bundesrat Adolf Ogi antreten musste, hatte mich irgendwie ins Zentrum gestossen. Dabei war ich zum ersten Mal überhaupt in einem Fernsehstudio. Ich bekam fast Angst vor lauter Betriebsamkeit und der ganzen «Kurie», welche die Gegner der Initiative begleitete. Aber ich hatte mich gut vorbereitet und wusste, dass ich meine Botschaft in drei oder vier Sätzen losbringen muss.

Dass ich bei einem Ja zur Alpen-Initiative zur Urner Hymne «Zoge am Boge de Landamme tanzed» tanzen werde, hatte ich am Ende der Sendung versprochen. Alle hatten es gehört und ich habe zuhause gelernt, dass man Versprechen hält. Meine Frau, die sehr zurückhaltend ist, war einverstanden, also tanzten wir auf dem Lehnplatz.

Später hatte ich oft Mühe damit, dass man mich auf diesen Auftritt reduzierte. Aber gleichzeitig ist es mir recht, wenn dieser symbolische Tanz die Verantwortlichen in der Politik immer wieder daran erinnert, dass die Alpen-Initiative noch nicht umgesetzt ist. Der Tanz stand irgendwie auch für die Freude, dass es in der Schweiz möglich ist, einer scheinbar chancenlosen Volksinitiative zum Durchbruch zu verhelfen. David gegen Goliath.

Ich habe mein Engagement immer so verstanden, dass ich für eine Idee kämpfe, nicht gegen meine Gegnerinnen und Gegner. Dieser Wettstreit, bei dem beide Seiten ihre besten Argumente vorbringen, gefiel mir. Für mich als Politiker gab es nie reine Sachfragen, für mich stand und steht immer der Mensch im Zentrum. Bei der Alpen-Initiative war es auch so. Der Mensch und mit ihm seine Gesundheit und die Umwelt – das waren meine Anliegen.

Wir wollten das Problem des alpenquerenden Transitverkehrs auf intelligente Weise lösen, nicht mit einem Wettrüsten bei der Infrastruktur. Es ging ums richtige Mass in einer immer massloser werdenden Zeit. Ich habe mir als Politiker den Satz «Wir erben nicht das Land unserer Väter. Wir borgen es von unseren Kindern» als Leitschnur beherzigt. Wir müssen vom Ertrag leben, den uns die Erde gibt, nicht von deren Substanz. Heute ist es anders. Leider.

Bei der Alpen-Initiative war ich nicht von Anfang an dabei. Ich hege bis heute eine riesige Bewunderung für jene, die sich schon lange vor mir für diese Anliegen eingesetzt haben. Für mich als Mitglied der Urner Regierung aber war klar, dass ich mich voll für die Alpen-Initiative einsetze, nachdem eine ähnlich lautende Standesinitiative des Kantons Uri im Eidgenössischen Parlament abgelehnt worden war. Mein Engagement war innerhalb der Regierung nicht immer unumstritten. Als ich dann fünf Jahre nach der Abstimmung von 1994 in den Ständerat gewählt wurde, begrüsste man mich in Bern als tanzenden Landammann. Noch heute sprechen mich ausserhalb des Kantons Uri immer wieder Leute auf den Tanz an, obwohl es schon 25 Jahre her sind.

Es ist so: Ich habe bei weitem nicht alle Gegner der Alpen-Initiative überzeugen können, aber ich spüre, dass man mir politisch Respekt entgegenbringt. Heute kämpfen viele Politikerinnen und Politiker nicht für ihre innere Überzeugung, wenn dies nicht gerade im vermeintlichen Mainstream der politischen Grosswetterlage liegt. Aber wenn man klug und klar für seine Überzeugungen einsteht und die Leute es verstehen, dann gewinnt man an Profil und an Respekt. Ich wurde im Kanton Uri immer mit dem besten Resultat wiedergewählt, sei es in den Regierungsrat oder in den Ständerat – dabei gab es stets auch offene Anfeindungen und manche hätten mir wohl am liebsten Gift gegeben. Die Bevölkerung aber hat mich immer getragen, das tat gut.

Ich bin Rechtsanwalt. Viele Leute kamen zu mir, weil sie wussten, dass ich mich mit Herzblut einsetze. Vielleicht auch, weil sie dachten: Der hört mir zu und hilft mir. Natürlich kamen andere nicht zu mir, gerade weil sie meine Einstellung kannten. Ab und zu habe ich gelitten. Es gab schmerzliche Quittungen und Druckversuche. Meine Familie hatte es in dieser Zeit nicht immer leicht mit mir. Manchmal war der Druck, der auf mir lastete, enorm. Aber ich musste immer cool bleiben. So wie damals in der Arena, als Bundesrat Adolf Ogi uns Urnerinnen und Urnern vorwarf, alles Geld von Bern zu erhalten. Ich liess mich nicht provozieren, das wurde mir später hoch angerechnet. Ja, die Erlebnisse mit der Alpen-Initiative sind und bleiben immer ein fester Teil von mir. Ich habe sie verinnerlicht.»

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