Menschen

Eva Lichtenberger

«Das wäre gegen den Wind gespuckt»
Eva Lichtenberger, Jahrgang 1954, ist in Matrei unweit der Bundesstrasse über den Brenner aufgewachsen. 1989 wurde sie als Grüne ins Tiroler Parlament (Landtag) gewählt, 1994 in die Tiroler Landesregierung. Später politisierte sie im Nationalrat, 2004 wurde sie ins Europäische Parlament gewählt und war Mitglied des Verkehrsausschusses. 2014 trat sie nicht mehr zu den Wahlen an. Heute lehrt sie zum Thema «Europa», engagiert sich in der Europaregion «Tirol, Südtirol Trentino» und ist Mitglied eines Brüsseler Arbeitskreises zur künstlichen Intelligenz.

«Die Schweiz und die Alpen-Initiative waren für uns Grüne in Österreich stets Vorbild. Wir wünschten uns eine ebenso konsequente Verkehrspolitik, wie man sie in der Schweiz beim Transitverkehr verfolgt. Heute fahren zwei Millionen Lastwagen pro Jahr über den Brennerpass, das ist doch Wahnsinn für eine Alpenstrasse. Aber wenn wir in Tirol abstimmen und einen Beschluss fassen wie die Schweiz, so wäre das gegen den Wind gespuckt – das heisst, es würde nichts nützen, denn östlich von Salzburg interessiert man sich wenig für unsere Probleme mit dem Transitverkehr.

Die Verkehrspolitik wird in Wien gemacht und in den Europäischen Institutionen. Für die sind wir hier in Tirol hinter den sieben Bergen. Immerhin sind unsere Forderungen aus den 1980er-Jahren, den Verkehr auf der Transitstrecke über den Brenner einzudämmen, heute im Regierungsprogramm des Landes Tirol enthalten.

Auf der Brücke über die Brenner-Autobahn bei Hall in Tirol haben wir unsere ersten Demonstrationen und Blockaden durchgeführt – die Schweizer Freundinnen und Freunde nannten mich damals «Blockaden-Evi». Ich war von den Grünen beauftragt, in den Alpenländern Kontakte zu knüpfen. Damals gab es noch kein Internet, wir wussten kaum etwas voneinander und wir mussten uns von einer Person zur anderen hangeln. Als wir uns dann trafen, haben wir uns gegenseitig Mut gemacht, das war spannend und befruchtend.

Alf Arnold habe ich 1988 an einem Aktionstag an den Autobahnen kennengelernt. Einen meiner ersten Auslandauftritte hatte ich dann auch bei der Alpen-Initiative in Altdorf. Unser Plan war eine «Politik des geschlossenen Alpenriegels» von Wien bis Nizza. Es wurde den Menschen entlang der Transitachsen damals klar, dass alle Ausbauten vor allem dazu dienten, die grossen europäischen Zentren zu verbinden und nicht etwa die Alpen zu erschliessen.

Die Geschichte der Alpen-Initiative habe ich ständig verfolgt. Sie war für uns Grüne ein Referenzpunkt, ganz klar. Als sich dann das Land Tirol 1989 erstmals mit einem Gesetz – konkret mit einem Nachtfahrverbot – gegen den Transit stellte, standen Journalisten von 14 Radio- und Fernsehstationen vor meiner Tür und wollten mich interviewen. Ich war später die erste Grüne in einer Österreichischen Landesregierung, das war ein mühsames Geschäft, aber auch sehr spannend und interessant. Mit dem Beitritt zur EU wurde es für unsere Positionen in der Verkehrspolitik noch schwieriger. Wien konnte nun die Tiroler Anliegen mit dem Argument ignorieren, die EU stelle sich beim Transit quer.

Ich habe mich – im Gegensatz zu anderen – nie darüber geärgert, dass die Schweiz die Gütertransporte auf die Schiene zwang und die Abgaben für die Lastwagen erhöht hat. Die Schweiz muss doch nicht die gleichen Fehler machen wie Österreich! Vielmehr wollten wir dem Vorbild der Alpen-Initiative und der Schweiz folgen und gemeinsam den Verkehr durch die Alpen reduzieren. Aber mit dieser Haltung waren wir ziemlich alleine.

Als ich von 2004 bis 2014 im EU-Parlament sass, hatte ich immer wieder Kontakt zur Alpen-Initiative und ich habe mich immer wieder auf sie berufen. Das hat meine Gegner manchmal so in Rage gebracht, dass sie mich anpflaumten, ich sei doch keine Schweizerin. Als dann die Alpen-Initiative den Verkehrsausschuss der EU an den Gotthard einlud, um sich vor Ort über die Probleme mit dem Schwerverkehr zu informieren, haben einige Abgeordnete nachher die Dinge anders betrachtet. Vielen war nicht klar, dass in der Schweiz die Bevölkerung und die Regierung gemeinsam die Verlagerung der Güter auf die Schiene wollen.

Die Alpen-Initiative hat uns dann in Brüssel auch extrem geholfen, als wir die Kostenwahrheit im Verkehr und die Eurovignette einführen wollten. Das Argument, dass die Transportkosten beim Preis für die Endprodukte praktisch keine Rolle spielen, war in diesem Zusammenhang wichtig. Die Österreichischen Verkehrsminister haben leider nichts getan, was den Schwerverkehr eingedämmt hätte.

Glauben Sie mir, die Situation am Brenner ist dramatisch. Das Verkehrsproblem wollen die Verantwortlichen jetzt mit einem Loch lösen, dem Brenner-Basistunnel. Aber wir haben doch gar keine Zulaufstrecken auf der Schiene, weder in Bayern noch in Italien! Klar ist, dass Österreich mit der Eröffnung des Bahn-Basistunnels gleichzeitig Beschränkungen auf der Strasse einführen muss, damit eine Verlagerung der Güter auf die Schiene stattfindet. Die Frachtwirtschaft ist nicht die Caritas, nein sie richtet sich rein ökonomisch aus. Das Land Tirol ist entschlossen, diese Beschränkungen einzuführen, in der Hauptstadt Wien hingegen ist man vom Transitverkehr weniger betroffen und deshalb kaum interessiert.

Nicht nur in Österreich, auch in ganz Europa ist noch viel zu wenig bekannt, wie negativ sich der Transportwahnsinn auf die Alpen auswirkt. Mein Gott, wenn es bei uns doch nur auch so funktionieren würde wie in der Schweiz!»

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