Jon Pult, geboren 1984 in Scuol GR, ist in Guarda, Mailand und Chur aufgewachsen. Er hat in Zürich Allgemeine Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Philosophie studiert und als lic.phil. abgeschlossen. Er war Präsident der SP Graubünden, sass bis 2018 im Bündner Kantonsparlament und arbeitet als Projektleiter bei einer Zürcher Kommunikationsagentur. Seit 2014 ist er Präsident der Alpen-Initiative.
«Vor der Fernsehsendung Arena zur zweiten Gotthardröhre im Februar 2016 war ich extrem nervös. Ich war ja noch nie so prominent im nationalen TV und spürte eine hohe Verantwortung, unser Nein zum Bau eines zweiten Strassentunnels klar zu vertreten. Gut, ich war einmal in der Sendung bei Giacobbo/Müller, aber das war ganz locker, da hatte ich kaum etwas zu verlieren.
Am Vorabend der Arena – daran erinnere ich mich gut – nahm ich ein warmes Bad. Am Tag der Sendung machte ich einen langen Spaziergang, um meine Gedanken zu sammeln. Im Vorfeld erhielt ich von allen Seiten Ratschläge, was ich sagen soll und wie ich aufzutreten habe. Die Vorschläge waren überhaupt nicht einheitlich, das hat mich verunsichert. Zudem wusste ich, dass die Umfragen zur Abstimmung für uns ungünstig waren und Doris Leuthard eine sehr starke Gegnerin ist. Ich hatte sie schon vorher an einigen Podien erlebt, sie war fast nicht zu knacken. TV-Auftritte gehörten zudem zu ihrer Königsdisziplin, das war für mich eine riesige Herausforderung.
Ich entschied für mich, dass ich als Provinz-Nobody in der Arena die Lieblingsbundesrätin der Schweizerinnen und Schweizer nicht provozieren werde. Sie sollte so wenig wie möglich auf dem Bildschirm erscheinen, dafür wollte ich den umstrittenen Ueli Giezendanner aus der Fassung bringen, das waren meine Überlegungen.
Das erste Drittel der Sendung habe ich – glaube ich – gut gemeistert, im letzten Drittel war die Luft etwas draussen. Der Teil im Prüfstand war brutal. Ich war allein und wurde argumentativ in eine sehr schwierige Lage gebracht. Was soll man sagen, wenn zwei Lastwagen frontal auf einem zufahren und man nicht ausweichen kann? Das Thema der Befürworter war die Sicherheit. Gegen dieses Konstrukt war kaum anzukommen. Unser Thema war die Verlagerung und die Verkehrspolitik, das ist komplizierter.
Schon im Vorfeld der Sendung hatte ich manchmal das Gefühl von Ohnmacht. Klar, ich hatte die legendäre Arena-Sendung mit dem Urner Landammann Hansruedi Stadler nochmals geschaut, das war ja ein Lehrbeispiel, wie man in scheinbar aussichtsloser Lage eine Abstimmung noch kehren kann. Doch ich war auch realistisch genug zu sehen, dass die Zeit eine ganz andere und Doris Leuthard im Gegensatz zum damals wenig souveränen Adolf Ogi eine Top-Gegnerin war. Trotzdem: Ihre Argumentation, dass man die zweite Röhre nur halb benutzt, war verlogen – Beton ist immer härter als Versprechen. Mit diesem Konstrukt der nur einspurig befahrenen Doppelröhre hat man uns ausgetrickst. Aber Leuthard vertrat die verlogene Vorlage immer brillant, das muss ich sagen.
Nach der Abstimmungsniederlage stellte ich der Alpen-Initiative ganz ernsthaft die Frage: Bin ich weiterhin die richtige Person als Präsident? Ich hätte mein Amt sofort zur Verfügung gestellt, wenn ich gespürt hätte, dass mich die Mitglieder nicht mehr tragen. Ich befürchtete zudem, dass das Nein unserem Ruf als glaubwürdige Vertreter der Alpen und einer konsequenten Verkehrspolitik schadet. Zum Glück traf das nicht ein und die Leute rannten nicht einfach weg, weil wir jetzt einmal verloren haben. Das ist ein wunderbares Zeichen.
Heute bin ich zuversichtlicher als vor der Abstimmung, dass die Schweiz – wie von Verfassung und Gesetz verlangt – die Verlagerung der Güter auf die Schiene schafft. Wenn wir das Ziel von maximal 650‘000 alpenquerenden Lastwagen pro Jahr erreichen, so sind das Fakten, die eine Norm vorgeben. Wer will dann, wenn die zweite Strassenröhre am Gotthard gebaut ist, diese Norm aufgeben und den Dammbruch mit Lastwagen riskieren? Wenn wir das Verlagerungsziel in den nächsten Jahren erreichen, wird es für die Strassenlobby schwierig, die Politik wieder in eine andere Richtung zu drängen. Vielleicht ist dannzumal auch allen klar geworden, dass der Zustand der Alpen ein Indikator ist für die Gesundheit des Planeten.
Für mich ist es unerträglich, dass das Eidgenössische Parlament bis heute nicht fähig ist, ein wirksames CO2-Gesetz zu schaffen. Wer, wenn nicht die Schweiz, soll beim Klimaschutz Vorbild sein? Für unser bergiges Land ist der Klimawandel eine Existenzfrage. Wie sollen wir unseren Enkeln erklären, dass unser reiches und hochentwickeltes Land es nicht fertiggebracht hat, griffige Massnahmen zu weniger CO2 zu beschliessen? Das ist doch einfach absurd. Ich bin entschlossen, politisch meinen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten.»