Andrea Hämmerle wurde 1946 zwischen Pratval und Chur im Auto geboren. 1989 wurde er in den Bündner Grossrat gewählt, von 1991 bis 2011 politisierte er für die SP im Nationalrat. Er ist Jurist (Dr. iur.), hat aber vor allem als Biolandwirt gearbeitet.
«Ja, hier in der Schöllenen haben wir 1989 gestanden. Wir wussten, es braucht starke Geschichten und gute Bilder, um die Alpen-Initiative bekannt zu machen. Da eigneten sich die Teufelsbrücke und die damit verbundene Sage sehr gut. Bewusst stellten wir die Berge ins Zentrum oder auch die Steingeiss, beides sind zu Markenzeichen der Alpen-Initiative geworden. Damals war es aussergewöhnlich, mit so einem Auftritt eine Medienkonferenz zu lancieren. Heute versucht jede und jeder, starke Bilder zu kreieren und gute Geschichten zu erzählen. Klar, wir hatten auch Zweifel, ob das funktioniert, aber wir glaubten daran, dass genau so ein Auftritt unsere Chance war.
Bei den Parteien, also der SP und den Grünen, aber auch bei den Umweltorganisationen hielt sich die Begeisterung über unsere Volksinitiative sehr in Grenzen. Das führte zu Spannungen untereinander. Sie trauten uns eine nationale Volksinitiative nicht zu. Aber sie begriffen bald, dass unser Stil erfolgreich und Alpenschutz ein attraktives Thema war.
Ich war damals Parteipräsident der SP Graubünden. Ich kannte deshalb andere Alpensozis. So entstanden ein Netzwerk und auch persönliche Freundschaften – wir hatten ja auch andere Themen gemeinsam wie Wasserkraft oder Berglandwirtschaft. Schon 1987 sassen wir in Andermatt zusammen und dachten über die Verkehrsproblematik in den Bergen nach. Andermatt kannte ich vom Militär her. In meiner Erinnerung hat es immer gewindet und geregnet. Für mich ein schrecklicher Ort.
Wenn ich jetzt nach 30 Jahren erzähle, wie es damals bei der Lancierung zu und her ging, so sind das meine Erinnerungen, die sich vielleicht nicht ganz mit den Erinnerungen von anderen decken. Ein Phänomen, das mich fasziniert. Ein Ausgangspunkt für unser Engagement war, dass die Walliser nicht einverstanden waren mit der geplanten Linienführung der A9 durch ihr Tal. Wie dagegen antreten? Wir am San Bernardino sahen gleichzeitig immer mehr Lastwagen vorbeifahren. Das galt erst recht für den Gotthard.
Ich bin ein 68er, da war neben Frieden und Feminismus auch die Umwelt ein wichtiges Thema. Zudem liebe ich die Alpen und die Natur, ich lebe ja seit Geburt in den Bündner Bergen. Im Initiativkomitee waren damals nur Leute aus den vier Bergkantonen Graubünden, Tessin, Uri und Wallis. Wir hatten alles in der Hand, wir organisierten die Unterschriftensammlung, wir informierten, wir besorgten das Geld. Niemand konnte uns dreinreden und wir Bergler machten ordentlich Dampf! Aber ehrlich gesagt, ich habe damals nicht wirklich geglaubt, dass die Initiative angenommen werden könnte. Aber dann stellten wir fest, dass das Ganze zum Fliegen kam.
Das Engagement bei der Alpen-Initiative war für mich persönlich mitentscheidend für die politische Karriere. Andrea Hämmerle
Kurz vor der Lancierung wurde ich ins Bündner Kantonsparlament gewählt, es war der vierte Anlauf. Zwei Jahre später wählten mich die Bündnerinnen und Bündner überraschend in den Nationalrat. Dort waren meine Schwerpunkte neben der Bio-Landwirtschaft die Verkehrspolitik, besonders die Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene. Mit der berühmten Arena-Sendung vom Februar 1994 wurde ich auf einen Schlag schweizweit bekannt. Noch heute werde ich angesprochen, wenn ich unterwegs bin. Ich stand ja damals zusammen mit dem Urner Landammann Hansruedi Stadler in der vordersten Reihe. Adolf Ogi haben wir schwindlig geredet. Ich glaube, das Publikum hat gemerkt, dass er gegen seine innerste Überzeugung argumentieren musste. Wenn wir einander später begegneten, sagte Ogi immer zu mir: «Du hast mich nicht gern.» Aber das stimmt ja nun wirklich nicht.
Wir mussten während des Abstimmungskampfs einen Spagat machen. Unser Anliegen stand der EU-Verkehrspolitik entgegen. Dabei bin ich bis heute ein überzeugter Europäer. Gleichzeitig betonten wir auch das Nationale, indem wir in den Verfassungsgrundsatz schrieben, dass die Güter von Grenze zu Grenze auf die Schiene verlagert werden müssen. Ich konnte gut mit diesem Widerspruch leben, aber man hielt ihn uns immer wieder als inneren Konflikt vor. Die Verlagerung ist ein grosses Umweltprojekt.
Enttäuscht bin ich, dass unsere Idee im offiziellen Europa noch nicht wirklich anerkannt ist. Anders sieht es wohl in der europäischen Bevölkerung – insbesondere im Alpenraum – aus. Für die Schweiz ist die Alpen-Initiative eine Erfolgsgeschichte. Damals hatte ich nicht geahnt, dass die Bewegung so lange bestehen bleibt. Heute weiss ich, dass die Verlagerung und der Alpenschutz noch weitere 30 Jahre auf der politischen Agenda stehen werden. Was die Alpen-Initiative in der Kombination von Bürgerbewegung und institutioneller Politik erreicht hat, ist schlicht grossartig.»